Mittwoch, 28. April 2021

Mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung

Der Kanton Zürich soll ein neues Selbstbestimmungsgesetz erhalten. Das neue Gesetz ist genauso wie sein Herzstück – die Subjektfinanzierung – kein Selbstweck. Es ist vielmehr ein Mittel zum Zweck. Und dieser Zweck heisst Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung. Das neue Gesetz ist damit Ausdruck einer bedarfsgerechten und inklusiven sozialpolitischen Grundhaltung.

von Daniel Frei, Präsident INSOS Zürich

Es geht im Kern darum, den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen wie Individualisierung, Emanzipierung und Technologisierung widerspiegeln sich auch im Behindertenbereich – und das wiederum soll und muss sich auch bei den Angeboten und Dienstleistungen bemerkbar machen.

Das neue Gesetz gibt den Menschen mit Behinderung ein Instrument in die Hand, mit dem sie möglichst selbstbestimmt leben können. Selbstbestimmung setzt Wahlfreiheit voraus. Und Wahlfreiheit wiederum benötigt Auswahlmöglichkeiten, Varianten und Optionen. Damit das geplante Gesetz seine Wirkung erzielen kann, braucht es zwei elementare Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen:

Zum einen braucht es die Befähigung der Menschen, mit diesem System umgehen zu können. Das ist ein längerer, mehrjähriger Prozess. Dabei sind alle gefordert: Die Menschen mit Behinderung, der Kanton, die Institutionen, die Verbände – und letztlich auch die Gesellschaft als Ganzes. Zum anderen braucht es gute und funktionierende institutionelle und ambulante Angebote und Dienstleistungen. Dazu gehört auch eine Durchlässigkeit zwischen ambulant und stationär, weil sich je nach Lebenslage, Lebensalter und gesundheitlicher Verfassung die Bedürfnisse ändern können.

Die Institutionen als privatrechtlich organisierte, häufig historisch gewachsene, mit öffentlichem Leistungsauftrag versehene, zentrale Leistungserbringer haben sich an diesen Angeboten und Dienstleistungen bereits bisher sehr aktiv beteiligt und werden dies auch weiterhin tun. Damit sie dies erfolgreich tun können, brauchen sie ein Mindestmass an Planungssicherheit und Verlässlichkeit, vor allem in Bezug auf die Finanz- und Infrastrukturplanung. Sie brauchen und möchten auch unternehmerische und agogische Entwicklungsmöglichkeiten. Neuerungen und Innovationen sollen gefördert werden. Und sie wünschen sich eine Regulierung mit Augenmass und nicht ein Übermass an Bürokratie. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Selbstbestimmung auch eine stärkere Selbstverantwortung beinhaltet und diese bei allen berechtigten Qualitäts- und Sicherheitsbestrebungen nicht durch zu viele Auflagen kompensiert werden soll.

Nebst den Institutionen sollen insbesondere im ambulanten Bereich aber auch andere und neue Anbieter Raum erhalten. Es soll das als Angebot bereit stehen, wonach eine Nachfrage besteht. Sollte es in einem spezifischen Bereich – bspw. bei einer bestimmten Behinderungsart – eine Angebotslücke geben, ist vorgesehen, dass der Kanton als Leistungsanbieter einspringen kann, weil es immer auch eine soziale Verantwortung wahrzunehmen gilt und die Berücksichtigung aller Anspruchsgruppen gewährleistet sein muss.

Das Fazit ist klar: Der Paradigmawechsel ist richtig. Der Status quo ist nicht (mehr) zukunftsorientiert. Und last but not least: Das neue Gesetz ist ein Zürcher Modell. Es wurde nicht einfach „copy and paste“ gemacht. Das Gesetz wurde in einem partizipativen Prozess unter Einbezug diverser Direktbetroffener erarbeitet und nimmt verschiedene Erfahrungen und Eindrücke aus anderen Kantonen und Ländern auf. Es verdient eine breite politische und gesellschaftliche Unterstützung.